Zeugnis von Glaube und altem Brauchtum

Zu Mariä Himmelfahrt, am 15. August, wird in der Pustertaler Marktgemeinde Sillian traditionell die dritte der drei Sakramentsprozessionen im Jahresverlauf abgehalten.

„Vor Blitz und Unwetter schütze uns, o Herr!“ – dieser uralte liturgische Ruf gibt den Sinn der im Frühjahr und Sommer schon seit Jahrhunderten in den meisten Tiroler Ortschaften stattfindenden Prozessionen wieder. In der Pustertaler Marktgemeinde Sillian stehen jedes Jahr insgesamt drei große Sakramentsprozessionen auf dem Programm: jene zu Fronleichnam am zweiten Donnerstag nach Pfingsten, die Prozession am Herz-Jesu-Sonntag und als dritte jene zum Sillianer Patroziniumsfest, am 15. August. „Die Prozession am Höhepunkt des Sommers, zu Mariä Himmelfahrt, präsentiert sich immer als besonders schön und eindrucksvoll. Die Bauernhöfe auf der Sonnseite hoch über dem Ort ergeben, mit den Tiroler Fahnen in Rot-Weiß beflaggt, in Kombination mit den geschmückten Häusern im Ortszentrum und den bunten Fahnen, Statuen, Trachten und Formationen ein eindrucksvolles Bild“, beschreibt Maria Huber das, was dem „Hohen Frauentag“ in ihrer Heimatgemeinde sein besonderes Gepräge gibt. Gemeinsam mit Landwirt Peter Leiter kümmert sich die pensionierte Lehrerin, die auch als Organistin tätig ist, um die Sillianer Chronik und beschäftigt sich im Rahmen dieses so wichtigen Ehrenamtes naturgemäß intensiv auch mit dem örtlichen Prozessionswesen.

 

 

Wenn die Glocke der Sillianer Pfarrkirche um 6.00 Uhr zum „Betläuten“ anschlägt, sind an den Prozessionstagen auch schon die ersten Böllerschüsse zu hören. Nach dem Festgottesdienst trägt der Priester das Allerheiligste aus der Kirche, begleitet von stimmungsvollem Orgelspiel. Hier, am Vorplatz vor dem Gotteshaus, formiert sich der Prozessionszug. „In früheren Zeiten waren es die vier Bürgermeister der Pfarre Sillian, also der Ortschaften Sillian, Sillianberg, Arnbach und Heinfels, die die Aufgabe hatten, den so genannten ,Himmel‘ durch den Ort zu tragen. Unter diesem, im Volksmund so bezeichneten Baldachin geht der Priester, der die Monstranz in seinen Händen hält.“ Ministranten und Erstkommunionkinder, die vor den Altären Blumen streuen, begleiten das Allerheiligste. Dahinter folgen die politischen Vertreter der Gemeinde, die Schützenkompanie und die Musikkapelle mit ihren farbenprächtigen Trachten, Abordnungen der Traditionsverbände mit ihren Fahnen, Einsatzorganisationen und ein Block mit TrachtenträgerInnen. Viele festlich gekleidete Frauen, Männer und Kinder aus der Bevölkerung schließen sich dem Zug an, bei dem auch große Fahnen und Statuen mitgeführt werden. „Kennzeichnend für die Sillianer Prozessionszüge sind die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerfahne sowie die Fahne von Heinfels. Die Fahnenträger mit ihren Schnürehaltern haben an stürmischen Tagen Mühe, die großen Fahnen gegen den Wind zu steuern.“ An den vier, von fleißigen Händen geschmückten Altären entlang der Prozessionsroute singt der Priester das Evangelium, werden Fürbitten gelesen und der Segen gespendet. Die Schützen schießen eine Ehrensalve, und die Musikkapelle intoniert einen Choral.

 

 

Die Herz-Jesu-Statue und die barocke Schutzengelstatue wird in Sillian, wie Maria Huber ausführt, von Burschen und Männern, die Statue der „Unbefleckten Empfängnis“ und jene der „Bäckermuttergottes“ von Frauen getragen. Recherchen des Chronik-Teams haben ergeben, dass die Rosenkranz- oder Bäckermuttergottes auf eine Stiftung der Rosenkranzbruderschaft (gegründet 1641) zurückgehen dürfte. Die für Osttirol doch außergewöhnliche Statue scheint bereits im Jahre 1723 im Inventarverzeichnis der Pfarre Sillian auf. „Laut einer Aufzeichnung von 1773 wurde diese bekleidete Marienstatue bei den Prozessionen von Mitgliedern der Müller- und Bäckerzunft getragen. Nach Auflösung der Bruderschaften übernahm die Bäckerzunft diese Aufgabe. Heute tragen Frauen aus dem Ort die Statue.“ Das rote Samtkleid mit der aufwändigen Goldstickerei der Sillianer Bäckermuttergottes wurde im Laufe der Zeit allerdings sehr in Mitleidenschaft gezogen, sodass man es trotz intensiver Reparaturbemühungen nicht mehr im Originalzustand erhalten konnte. „Aus diesem Grund haben wir vor einigen Jahren im Kloster Himmelau in Kärnten ein neues Kleid anfertigen lassen. Die Bevölkerung hat diese Neuanschaffung mit Spenden unterstützt“, ergänzt Peter Leiter.

 

 

Wie vielen Sillianerinnen und Sillianern ist es auch ihm ein persönliches Anliegen, dass das religiöse Brauchtum und die kirchlichen Feste im Jahresverlauf in der Gemeinde in all ihrer Vielfalt erhalten bleiben. „Seit einigen Jahren bemerken wir, dass sich verstärkt wieder auch junge Menschen an den Prozessionen beteiligen, entweder aktiv als Statuen- und Fahnenträger oder als Teil der einzelnen Formationen“, freut er sich darüber, dass die Prozessionen tief im Bewusstsein der Bevölkerung verankert bleiben. „Prozessionen verbinden Glaube und Brauchtum sowie Tradition und Festfreude. Der religiöse Aspekt, der Lobpreis Gottes und das Erbitten von Schutz vor Unheil und Naturgefahren, steht dabei auch heute noch im Vordergrund.“

 

 

Mariä Himmelfahrt ist das älteste der vielen Marienfeste, die die katholische Kirche über das Jahr feiert. Das Hochfest am 15. August ist bereits seit dem siebten Jahrhundert bekannt, obgleich in der Bibel nur in Andeutungen über eine leibliche Aufnahme Marias in den Himmel berichtet wird. 1950 wurde die Lehre von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel von Papst Pius XII. zum Dogma, also zum verbindlichen Glaubensinhalt, erklärt. Himmelfahrt bedeutet, dass sie nach Beendigung ihres irdischen Lebens in den Zustand gelangt ist, in den die übrigen Gläubigen erst nach der Auferstehung am Jüngsten Tag kommen sollen. Sie ist das Bild des erlösten Menschen. Maria zählt zu den bekanntesten Figuren der Heiligen Schrift. Einzelheiten über die Mutter Jesu finden sich allerdings außer in den Weihnachtsgeschichten der Evangelisten Lukas und Matthäus in der Bibel kaum. In der Apostelgeschichte wird sie anlässlich der Himmelfahrt Jesu erwähnt. Ungeachtet dessen pflegt die römisch-katholische Kirche eine tiefe Marienverehrung. Gerade die geringe Zahl biblischer Belege trug zur Ausweitung der Marienverehrung bei. Verknüpft wird diese bis heute mit verschiedenen volkstümlich-religiösen Bräuchen.

 

 

Text: Raimund Mühlburger, Fotos: Peter Leiter, Franz Kollreider

06. August 2017 um